16 – Spezialist oder Generalist?

–  Wann ein Tätigkeitsschwerpunkt sinnvoll ist  –

Die Anforderungen an Steuerberater sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden und reichen mittlerweile weit über die klassische Steuerberatung hinaus. Eine „Rundumbetreung“ aller Branchen ist für kleinere und mittlere Kanzleien aus zeitlichen und personellen Gründen oft nicht möglich. Die Spezialisierung auf ausgewählte Branchen oder Tätigkeiten kann in diesem Fall eine interessante Alternative sein.

Vor- und Nachteile der Spezialisierung

Eine Spezialisierung bietet die Möglichkeit, sich als Experte für ein bestimmtes Themengebiet zu positionieren und sich auf diese Weise von anderen Mitbewerbern erkennbar zu unterscheiden. Die Spezialisierung führt meist zu einer besonders starken Mandantenbindung und zu einer aktiven Weiterempfehlung innerhalb der Zielgruppe. In den meisten Fällen bedeutet die Spezialisierung auch nicht den völligen Verzicht auf alle anderen Tätigkeitsbereiche. Eine Kanzlei wird sich meist nicht in völlige Abhängigkeit von einer bestimmten Zielgruppe begeben, sondern die Grundauslastung der Kanzlei durch einen gemischten Mandantenstamm sicherstellen. Auch spezialisierte Kanzleien haben daher Mandanten aus vielen verschiedenen Branchen. Spezialisierung bedeutet daher oft nur eine andere Gewichtung der bisherigen Tätigkeit. Die Strategie heißt: Bestandsmandanten halten – bevorzugte Zielgruppe ausbauen. Die Kanzlei ist dann weiterhin „Generalist“, nun allerdings mit ein oder zwei selbstgewählten Tätigkeitsschwerpunkten.

Voraussetzung für die Spezialisierung auf eine bestimmte Branche ist meist ein geeigneter Standort mit einer größeren Anzahl von Unternehmen aus der Zielgruppe. In ländlichen Regionen ist eine derartige Spezialisierung daher oft schwieriger. Die Kanzlei benötigt in diesem Fall ein größeres Einzugsgebiet, was für Berater und Mandanten mit entsprechenden Fahrtzeiten verbunden sein kann. In sensiblen Branchen muss außerdem damit gerechnet werden, dass Unternehmer sich nicht für einen Steuerberater entscheiden, der bereits mehrere Mitbewerber betreut.

Auswahl des Spezialgebiets

Eine Spezialisierung kann sich auf Branchen, Tätigkeiten, Rechtsformen oder auf bestimmte Sachverhalte beziehen. Viele Steuerberater haben ihre Spezialisierung in einer Branche aufgebaut, in der sie durch ihre bisherige Tätigkeit  zufallsbedingt bereits mehrere Mandate gewonnen hatten. Beachten Sie bei der Auswahl Ihres Spezialgebiets unbedingt, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die Ihnen als Berater viel Freude macht oder um eine Branche, an der Sie ein intensives Interesse haben. Denn was man gerne tut, tut man meist auch dauerhaft und  besonders gut.

Fachliche Voraussetzungen

Es kostet meist Zeit, Geld und Geduld, im angestrebten Spezialgebiet das erforderliche Fachwissen aufzubauen. Die ersten Schritte sind meist die schwersten. Planen Sie eine Anlaufphase von 1 – 2 Jahren ein, wenn Sie sich das  erforderliche Wissen neben der laufenden Berufstätigkeit aneignen müssen. Vor allem der Aufbau von Branchenkenntnissen ist zeitintensiv. Eine wichtige Informationsquelle für Brancheninformationen sind oft die Berufsverbände der jeweiligen Zielgruppe. Auf deren Homepage finden Sie die aktuell wichtigsten Themen der Branche und häufig auch eine Stellungnahmen zur bisherigen und zukünftigen Branchenentwicklung. Wenn Sie den Newsletter des Berufsverbandes abonnieren erhalten Sie regelmäßig aktuelle Brancheninformationen. Daneben können Sie Zeitschriften und Bücher von Fachverlagen auswerten und die jährliche Branchenmesse Ihrer Zielgruppe besuchen. Vielleicht können Sie auch aus den Datenbanken Ihres EDV-Anbieters branchenbezogene Informationen abrufen. Konzentrieren sie sich zunächst nur auf eine einzige Branche, um sich nicht zu verzetteln. Eine spätere Ausdehnung auf eine weitere Branche ist damit ja nicht ausgeschlossen. Vielleicht können sie dann sogar das Wissen aus der ersten Branche teilweise auf die nächste Branche übertragen und sich die zweite Branche dadurch mit deutlich geringerem Zeitaufwand erschließen.

Personelle Voraussetzungen

Die Spezialisierungsmöglichkeiten einer Kanzlei hängen oft stark von der Struktur des derzeitigen Mandantenstamms und von den personellen Kapazitäten ab. In  größeren Kanzleien mit mehreren Berufsträgern ist eine Spezialisierung natürlich leichter machbar, weil die Spezialisierung hier von einem eigenständigen Team aufgebaut werden kann. Wenn ein mehrköpfiges Team die Spezialisierung gemeinsam trägt, verringert sich auch das Risiko, das durch den Ausfall eines einzigen Spezialisten entstehen kann. In Einzelkanzleien ist eine Spezialisierung bereits aus zeitlichen Gründen deutlich schwieriger. Die Spezialisierung gelingt hier oft nur, wenn der Kanzleiinaber in der Aufbauphase einen Teil seiner bisherigen Tätigkeiten auf Mitarbeiter delegieren kann und sich dadurch zeitliche Freiräume für den Aufbau der Spezialisierung ergeben.

Akquisition von Zielmandanten

Durch eine Spezialisierung bauen Sie sich innerhalb der Zielgruppe einen hohen Bekanntheitsgrad auf und gewinnen durch Weiterempfehlungen neue Mandanten. Sie sollten Ihr Spezialwissen aber auch aktiv kommunizieren. Weisen Sie auch auf Ihrer Homepage und in Ihren Social-Media-Profilen darauf hin. Wenn ein Hotelier über Google nach einem Steuerberater sucht, wird er vermutlich die Kanzlei bevorzugen, die auf ihrer Homepage mit speziellen Beratungsleistungen für Hotels wirbt. In den Fach- und Branchenzeitschriften Ihrer Zielgruppe können Sie zusätzliche Anzeigen schalten oder branchenbezogene Steuertipps veröffentlichen. Auf Branchenmessen können Sie mit einem eigenen Messestand vertreten sein und sich auf diese Weise einer großen Besucherzahl als kompetenter Branchenkenner präsentieren. Auch Berufsorganisationen der Zielbranche ermöglichen die Gewinnung neuer Mandanten. So können Sie in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband ein Existenzgründerseminar oder Seminare zur Finanzierung oder zur Unternehmensnachfolge anbieten. Vielleicht verweisen sogar Berufskollegen, deren Wissen für die Bearbeitung eines bestimmten Branchenfalles nicht ausreicht, Mandanten gelegentlich an Sie als spezialisierten Kollegen. Oder Sie bieten sich aktiv und fallweise als Kooperationspartner für Berufskollegen an – natürlich mit entsprechendem Mandatsschutz. Auf diesen Wegen können Sie Ihr Spezialwissen möglichst häufig verwerten. Das oberste Ziel Ihrer Marketingaktivitäten sollte es sein, das Fachgebiet, auf dem Sie Experte sind, fest mit Ihrem Namen zu verknüpfen und Ihren Bekanntheitsgrad so weit wie möglich zu steigern.

Checkliste:  Spezialisierung

Zum Aufbau einer Spezialisierung sind typischerweise folgende Fragen zu beantworten:

1. Prüfung möglicher Zielgruppen und Tätigkeiten

Welche Spezialisierungsmöglichkeiten kommen grundsätzlich in Betracht?

  • Privatpersonen (z.B. Immobilieneigentümer, Generation 50 plus, bestimmte Nationalitäten)
  • Branchen / Berufsgruppen
  • Rechtsformen (Einzelunternehmen, Personen- /  Kapitalgesellschaft, Verein, Stiftung)
  • Größenklassen (Mitarbeiteranzahl / Umsatz / Bilanzsumme)
  • Geographischer Einzugsbereich  (regional, überregional)
  • Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten
  • Unternehmen in „Sonderphasen“ (Gründung, Expansion, Umwandlung, Kauf / Verkauf / Nachfolge, Sanierung, Insolvenz, Steuerstrafverfahren)

2. Analyse der derzeitigen Mandatsstruktur

  •  Gibt es bereits Mandatsschwerpunkte?
  • Wie viele Mandate aus der Zielgruppe sind bereits vorhanden?
  • Wie kam es zu dieser Schwerpunktbildung?

3. Erschließung und Ausbau der Mandanten-Zielgruppe

  • Welche Zielgruppe ist besonders interessant oder lukrativ?
  • Wie sieht der Ideal- / Wunsch-Mandant aus?
  • In welcher Zielgruppe besteht die größte Kompetenz (Wettbewerbsvorsprung)?
  • Wie stark ist das zukünftige Wachstumspotenzial der Zielgruppe?
  • Wie viele potenzielle Mandanten gibt es in dieser Zielgruppe bzw. im Einzugsbereich der Kanzlei?
  • Wie groß ist die Kompetenz der Kanzlei bei der Zielgruppe?
  • Was zeichnet die Dienstleistung der Kanzlei für diese Zielgruppe besonders aus?
  • Wie hoch sollte der Anteil der Zielgruppe am Gesamtumsatz der Kanzlei idealerweise sein?
  • Welche Dienstleistungen erwartet die Zielgruppe derzeit?
  • Welche Dienstleistungen wird die Zielgruppe voraussichtlich in Zukunft erwarten?
  • Gibt es weitere Zielgruppen, die völlig neu erschlossen werden sollen?
  • Wie soll das Beratungsangebot gestaltet und differenziert werden?
  • Welche organisatorischen und personellen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um die Zielgruppe optimal zu beraten (EDV, Technik, Mitarbeiter) ?
  • Welche fachlichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden?
  • Wie soll das erforderliche Fachwissen erworben werden? (Seminare, Bücher, Fachzeitschriften)
  • Wie soll die Honorarpolitik gestaltet werden? (Pauschalen, Stunden-/Tagessätze)

4. Maßnahmen zur Mandantengewinnung

  • Vorträge bei Berufsverbänden der „Zielbranche“
  • Aufsätze in Branchenzeitschriften der „Zielbranche“
  • Teilnahme an Fachmessen (als Besucher, Aussteller oder Redner)
  • Anzeigen in Branchen-/Fachzeitschriften
  • Mandanten-/Informationsveranstaltungen
  • Spezielle Mandantenzeitschrift / Mandanteninformation
  • Kontaktaufnahme und Kontaktpflege zum Berufsverband
  • Homepage mit Hinweis auf Spezialisierung
  • Kontakt zu Ausbildungseinrichtungen der Zielbranche
  • Versand der Kanzleibroschüre an „Zielmandanten“

 

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